An einem Sommermorgen, um die Zeit, da man das Vieh auf die Weide trieb
kam in die Stadt des Rabbi von Polnoe ein Mann, den niemand kannte, und er stellte sich
mit seinem Wagen auf den Marktplatz. Den ersten, den er eine Kuh führen sah, rief er an
und begann ihm eine Geschichte zu erzählen, und sie gefiel ihrem Hörer so gut, dass er
sich nicht losmachen konnte. Ein zweiter griff im Vorbeigehen ein paar Worte auf, wollte
weiter doch vermochte es nicht, blieb stehen und lauschte. Bald war eine Schar um den
Erzähler versammelt, und die wuchs noch stetig. Mitten drin stand der Bethausdiener, der auf dem Wege gewesen war, das
Bethaus zu öffnen; denn um acht Uhr pflegte darin der Rabbi zu beten, und rechtzeitig
vorher musste es geöffnet werden. Um acht Uhr kam der Rabbi ans Bethaus und fand es
geschlossen; und da er von genaunehmerischem und aufbrausendem Gemüt war, zog er im Zorn
aus, den Diener zu suchen. Schon aber stand der vor ihm, denn der Erzähler hatte dem
Diener einen Wink gegeben, von dannen zu gehen, und er war gelaufen, das Bethaus zu
öffnen. Der Rabbi fuhr ihn böse an und fragte, warum er seine Pflicht versäumt habe und
warum die Männer fehlten, die sonst um diese Zeit schon da seien. Der Diener erzählte:
wie er, so seien auch alle, die auf dem Weg zum Bethaus waren, von der grossen Geschichte
des Erzählers unwiderstehlich angezogen worden. Der zornige Rabbi war genötigt, das
Morgengebet allein zu sprechen, dann aber befahl er dem Diener, sich auf den Markt zu
begeben und den fremden Mann zu holen. "Den werd' ich verprügeln lassen!"
schrie er.
Indessen hatte der Erzähler seine
Geschichte beendet und war in die Herberge gegangen. Dort fand ihn der Bethausdiener und
richtete seinen Auftrag aus. Der Geschichtenerzähler kam sogleich, seine Pfeife rauchend,
und trat vor den Rabbi. "Was fällt dir ein", schrie der ihm entgegen, "die
Leute vom Beten abzuhalten!" "Rabbi", antwortete der Erzähler gelassen,
"es frommt Euch nicht aufzubrausen. Lasst mich Euch lieber eine Geschichte
erzählen." "Was fällt dir ein!" wollte der Rabbi ihn erneut anschreien,
dabei aber sah er ihn zum erstenmal richtig an. Er sah zwar gleich wieder weg; aber das
Wort war ihm in der Kehle steckengeblieben. Denn schon hatte der Fremde zu erzählen
begonnen, und der Rabbi musste nun lauschen wie alle.
"Ich bin einmal mit drei Pferden über
Land gefahren", erzählte der Fremde, "mit einem Roten, einem Scheck und einem
Schimmel. Und alle drei haben sie nicht wiehern können. Da ist mir ein Bauer
entgegengekommen, der hat mir zugerufen: 'Halt die Zügel locker!' So habe ich die Zügel
gelockert. Und da haben sie alle drei zu wiehern angefangen." Der Rabbi schwieg
betroffen. "Ich verstehe", stammelte er und brach in Tränen aus. Er weinte und
weinte, und als er wieder aufblickte, stand der Erzähler nicht mehr da und ward nie mehr
gesehn.
(Martin Buber, Die Erzählungen der
Chassidim) |